Verlängert bis 15. Oktober 2023
Vol. 07 — 1. September bis 8. Oktober 2023

Le Bureau x Adrian Sauer

Eröffnung im Rahmen der DC Open 2023
Freitag 1. September, 13:00–21:00 Uhr
Samstag 2. September, 13:00–19:00 Uhr
Sonntag 3. September, 13:00–17:00 Uhr

Zwischen Zukunft und Ziegelsteinen – Adrian Sauer im Le Bureau

Wer die verschiedenen Bilderreihen von Adrian Sauer zum ersten Mal sieht, wird vermutlich keine besonderen Zusammenhänge erkennen können – mit der Ausnahme, dass es sich bei fast allen um digitale C-Prints handelt. Weitere Merkmale sind die Abwesenheit von Menschen, Tieren und Pflanzen und eine Tendenz zur minimalistischen Bildsprache. Wer verstehen will, worum es dem 1976 in Ost-Berlin geborenen Künstler geht und was er macht, muss über das jeweilige Motiv hinausdenken und genauer hinschauen.

Einige von Sauers Bildern kommen daher wie Fotografien. Die Bilder der Reihe Raum für alle zeigen durchdesignte Wohnräume, auf anderen sind wohldrapierte Ziegelsteine zu sehen, Dark and Light (2017) gibt sich wie eine Produktfotografie. Auf den zweiten Blick jedoch wirken diese Bilder unglaubwürdig bis schlichtweg falsch. Die Licht- und Schattenverläufe sind schematisch, wie in einer Computersimulation. Gegenstände und Oberflächen sind detailarm, auf wenige, typische Farbabstufungen reduziert, wodurch die Materialien zwar erkennbar bleiben, aber ihrer individuellen Eigenschaften beraubt werden. Die Titel hingegen sind sachlich und spezifisch. Sie teilen mit, dass sich die Innenräume jeweils auf historische Fotografien aus dem Bauhaus-Kontext beziehen und wo die jeweilige Fotografie gefunden wurde. Oder um welche Art von Ziegeln es sich handelt und wo die Fotos der Ziegel aufgenommen wurden. Warum aber unterliegen Sauers Bilder einer digital erzeugten Anmutung, wenn sie sich auf identifizierbare Dinge der sichtbaren Realität beziehen? Ist die Sachlage doch nur frei erfunden? Handelt es sich um Renderings? Dinge und Orte, die es nie gegeben hat?

Die Fragen, mit denen Sauer seit inzwischen zwanzig Jahren Betrachter*innen seiner Arbeiten konfrontiert, sind aktueller denn je. Programme wie Midjourney, Dall·E 2 oder Stable Diffusion haben innerhalb kürzester Zeit die Welt der Fotograf*innen umgekrempelt. Mit ihrer Hilfe kann per Eingabe binnen Sekunden ein Bild produziert werden, das aussieht wie eine Fotografie. Dazu nutzen sie den Bildfundus des Internets, also wiederum Fotografien. Noch sind die künstlichen Imitatoren von echten Fotografien zu unterscheiden, laut des KI-Experten Boris Eldagsen „werden [wir] wahrscheinlich zum Ende des Jahres nicht mehr die Schwächen an KI-Bildern sehen können.“ Das wird spätestens dann Probleme verursachen, wenn KI-generierte Bilder sich als echte Fotografien ausgeben und die Wahrheitsfindung mit beeinflussen.

Nun nutzt Sauer zwar Programme, um seine Bilder zu erstellen. Jedoch geht er den umgekehrten Weg. Ausgehend von echten Fotografien verfremdet er diese bis zu einer Grenze, ab der nicht mehr erkenntlich ist, ob das erstellte Bild eine reine Erfindung ist oder einem verifizierbaren, fotografischen Korrelat zugeordnet werden kann. Die Pointe liegt für Sauer aber nicht an diesem Schwebezustand selbst. Sauer geht es darum, dass wissenschaftlich-mathematische Durchdrungensein der Fotografie offenzulegen. Für seine an Farbfeldmalerei erinnernden Quadrate hat er selbst ein Programm geschrieben, das in der Lage ist, alle 16.777.216 Farben des 8 Bit-RGB-Farbraums jeweils ein Mal in einem Bild zusammenzufügen. Erstaunlich ist, dass das menschliche Auge dennoch große Flächen unter einem Farbton zusammenfasst. Erst bei näherer Betrachtung fällt auf, dass vollkommen unterschiedliche Farbtöne in pointilistischer Manier nebeneinandergesetzt sind. Die Konstruiertheit der Fotografie wird so ästhetisch erfahrbar und ermöglicht einen sezierenden Blick in deren Tiefenmechanik.

Angesichts der Aufgaben, die die intelligenten Bildmaschinen uns in Zukunft stellen werden, geben uns die Arbeiten Sauers sowohl eine spielerische Einweisung in die technischen Voraussetzungen als auch in die Bedeutungsebenen fotografischer Bilder. Sie fordern durch ihre Reduziertheit und verstören mit ihrer optischen Glätte. Sie bieten nicht an, was geglaubt werden soll und fragen auch nicht danach, was noch geglaubt werden kann. Stattdessen sind sie Teil der erlebten Realität und fügen sich in den Erfahrungsraum der Betrachter*innen ein, die ihr eigenes Bildgedächtnis mit sich tragen, ihre höchstpersönliche Cloud. Ein Bereich, der nur eine Schnittstelle zum Computer hat. Die eigene Entscheidung.

Miriam Jesske

Mehr zu Adrian Sauer:
adriansauer.de

Ausstellungsansichten Adrian Sauer

16.777.216 Farben als Feuerwerk (2011), digitale C-Prints © Adrian Sauer